BAD NAUHEIM (HR). Um 31 Prozent lassen sich Tod oder schwere Behinderung verhindern, wenn Schlaganfall-Akutpatienten auf einer eigens dafür eingerichteten Schlaganfalleinheit (Stroke Unit) behandelt werden. Ausschlaggebend hierbei ist der Faktor Zeit und damit die Qualität der Rettungskette. Mit 40 Wetterauer Ärzten diskutierten Professor Dr. med. Tibo Gerriets, Chefarzt der Schlaganfallstation im Friedberger Bürgerhospital, und weitere Referenten in einem Fortbildungsworkshop die Grundzüge der gesamten Rettungs- und Versorgungskette und sammelten Vorschläge, wie diese optimiert werden könne.
Die Rettungskette beginne, so Gerriets, beim Patienten und seinen Angehörigen, die Symptome und Warnzeichen eines Schlaganfalls erkennen und sofort richtig handeln müssten. Die Erfahrung auf der Stroke Unit zeige, dass viele Patienten wertvolle Zeit verstreichen ließen, weil sie abwarteten, ob sich die Symptome besserten, erst am Folgetag den Hausarzt aufsuchten und ähnliches.
Bei Schlaganfallverdacht müsse unverzüglich mit der Telefonnummer 112 der Rettungsdient verständigt werden, betonte auch der Kardiologe und Notarzt Dr. Marco Campo dell orto von der Abteilung für Kardiologie der Sportklinik Bad Nauheim. Nur dann könne auf der Stroke Unit die lebensrettende Wiedereröffnung verschlossener Hirnarterien durchgeführt werden. Hier zähle jede Minute. Dazu sei auch eine optimale Schnittstelle zwischen Rettungsdienst und Stroke Unit erforderlich. Dies sei in der Wetterau vorbildlich gelöst, was der ärztliche Leiter des Rettungsdienstes, Dr. Reinhold Merbs, bestätigte.
Fortschritte gibt es bei der Sekundärprophylaxe nach erlittenen Schlaganfällen. Hier spiele das Herz als Emboliequelle eine zunehmend wichtigere Rolle, so der Kardiologe Prof. C. Liebetrau. Neben modernen Blutverdünnern trügen dazu zunehmend kathetergestützte Eingriffe am Herzen bei, wie der Verschluss des offenen Foramen ovale. Diese Verbindung der beiden Vorhöfe könne besonders bei Patienten unter 60 Jahren als Embolieweg fungieren.
Nach der Erstversorgung auf der Stroke Unit leide ein Teil der Patienten weiter an den Folgen des Schlaganfalls. Hier sei eine gute Rehabilitation von entscheidender Bedeutung, so Dr. Ingrid Sünkeler, leitende Oberärztin der Fachklinik für Neurologie und neurologische Rehabilitation in Braunfels. Bei der neurologischen Rehabilitation stehe nicht das Symptom, sondern die Funktion im Mittelpunkt. Ziel sei es, den betroffenen Menschen so viel Teilhabe am Leben wie möglich zurückzugeben. Dabei seien die Wohn- und Lebenssituationen der Patienten zu berücksichtigen. Neben der Fortführung von Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie, die bereits auf der Stroke Unit begännen, kämen auch ungewöhnliche Behandlungskonzepte wie Therapiehunde zum Einsatz. Der Kontakt mit Tieren zeige gerade bei schwerstbetroffenen Patienten mit stark eingeschränkter Kommunikationsfähigkeit eine verblüffende Wirkung.
Die Versorgungskette des Schlaganfallpatienten ende nicht mit der Entlassung aus der Reha-Klinik, sondern setze sich im ambulanten Sektor fort, betonte der Allgemeinmediziner Dr. Wolfgang Pilz aus Ockstadt, und zwar in enger Kooperation mit der Nachsorgesprechstunde in der Neurologischen Praxis am Hochwald. Dort sähen Fachärzte der Friedberger Stroke Unit ihre Patienten mehrere Wochen nach Entlassung wieder, um gemeinsam mit den Hausärzten die Weiterbehandlung sicherzustellen. Dabei gelte es, Diagnosen nochmals zu überprüfen, ergänzende Untersuchungen wie Langzeit-EKGs zu veranlassen, die Wirksamkeit und Verträglichkeit der verordneten Medikamente und Physiotherapie zu kontrollieren und nach typischen Folgeerkrankungen wie der Schlaganfalldepression zu fahnden.
Zwischen und nach den Fachvorträgen gab es einen angeregten Austausch zwischen allen an der Wetterauer Schlaganfallrettungskette beteiligten Ärzten. Kleinere Probleme, wie die unzureichende Bekanntheit der Notfallnummer des Arzt-zu-Arzt-Telefons der Stroke Unit, konnten direkt behoben werden. Konsens herrschte darüber, dass die Aufklärung der Bevölkerung über die Warnzeichen des Schlaganfalls verbessert werden müsse.