„Aus Respekt vor den Opfern von Krieg und Gewalt wird Gedenktag gebraucht“

Kunden des Rewe-Centers Butzbach entscheiden über Vereinsförderung
20. November 2023
„Männer-Toleranz-Café“ im Degerfeld
21. November 2023

„Aus Respekt vor den Opfern von Krieg und Gewalt wird Gedenktag gebraucht“

BUTZBACH. Das Foto zeigt (v.l.): Butzbachs Bürgermeister Michael Merle,  Landrat Weckler und Pfarrer Christoph Baumann von der Markuskirche, gestalteten die Gedenkstunde auf der Kriegsgräberstätte in Nieder-Weisel. Als Repräsentant der Bundeswehr begleitete Oberstleutnant Meißner die Gedenkstunde. Text + Fotos: amh

Veranstaltung des Wetteraukreises zum Volkstrauertag auf der Kriegsgräberstätte in Nieder-Weisel 

BUTZBACH (amh). Anlässlich des diesjährigen Volkstrauertags, wurde auch wieder eine Gedenkstunde auf der Kriegsgräberstätte Nieder-Weisel abgehalten. Zu Beginn der Veranstaltung die musikalisch umrahmt wurde, von der Feuerwehrmusik Butzbach Kirch-Göns, begrüßte Bürgermeister Michael Merle neben dem Landrat Jan Weckler, dem Ortsvorsteher von Nieder-Weisel, Bernd Winter unter anderem auch zahlreiche Bürger.

Merle verlas das Totengedenken das 1952 von Bundespräsident Theodor Heuss eingeführt wurde.

Merle erinnerte an Denise Bardet, Grundschullehrerin in der französischen Gemeinde Oradour-sur-Glane. Gern las sie Goethe, Schiller, Kleist und Heinrich Mann und vermittelte ihren Schülerinnen, auch in

Zeiten des Krieges, ihre Bewunderung für die deutsche Literatur. Erst kurz zuvor habe sie, ihrer Mutter zuliebe, die Stelle an der örtlichen Mädchenschule angenommen. Am 10. Juni 1944, wenige Tage nach der Landung der Alliierten in der Normandie, wurde Denise 24 Jahre alt. Ihren Geburtstag wollte sie am Abend mit ihren Kolleginnen feiern. Jedoch umstellte in den Nachmittagsstunden eine SS-Kompanie das Dorf und ermordete die Männer, Frauen und Kinder. Oradour-sur-Glane wurde zum Schauplatz des grausamsten Verbrechens der deutschen Besatzer in Westeuropa. In der Kirche des Dorfes wurden Bardet, die Mädchen ihrer zweiten Klasse und nahezu alle Frauen und Kinder des Dorfes mit weißem Phosphor erstickt, verbrannt oder erschossen. Gegenüber des Altars, am Rande des Kirchenschiffs, hing ein Gedenkstein, der an die Toten der Gemeinde aus dem Ersten Weltkrieg erinnerte. Die Täter schossen auch auf die Erinnerungstafel. Die Einschusslöcher sind bis zum heutigen Tag zu sehen. Das Dorf wurde vollständig zerstört. Der letzte Überlebende, Robert Haras, ist vor wenigen Monaten gestorben. Am 10. Juni 2024 jährt sich der Tag des Massakers zum 80. Mal. 

Das heutige Oradoursur-Glane, in der Nähe des alten Dorfes erbaut, hat keine Partnerschaft mit einer deutschen Gemeinde inne. Auch nach zwei Weltkriegen und der Shoah haben sich extreme Gewalt, Massaker und Verbrechen gegen die Menschlichkeit immer wieder in die Geschichte Europas eingeschrieben. In den 1990er Jahren auf dem Westlichen Balkan, insbesondere mit der Belagerung von Sarajevo und dem Massaker in der „UN-Schutzzone“ Srebrenica. „In der Ukraine,“ so der Bürgermeister, „tobt seit 2014, insbesondere seit dem 24. Februar 2022, der Krieg.“ 

Bisweilen scheine es, als ob Menschen und Gesellschaften nicht aus der Geschichte lernen. Doch die Jahrzehnte nach 1945 zeitigten auch eines der größten politischen Wunder der Weltgeschichte: die europäische Einigung. 

Geschichte sei kein Schicksal, betonte Bürgermeister Merle, aus Erzfeinden könnten beste Freunde werden, wie die deutsch-französische Annäherung nach 1945 zeige. Doch seien es nicht nur Staatspräsident Charles de Gaulle und Bundeskanzler Konrad Adenauer, die am 22. Januar 1963 mit dem Elysee-Vertrag eine bilaterale Vereinbarung unterzeichneten. Die Annäherung beider Regierungen sei  auch eine Folge des zivilgesellschaftlichen Engagements ungezählter mutiger Bürger aus Deutschland und Frankreich gewesen. 

Heute bestünden mehr als 2200 Städtepartnerschaften und mehr als 3000 universitäre Kooperationen. Nahezu zehn Millionen junge Menschen nahmen an den Programmen des Deutsch-Französischen Jugendwerks (DFJW) und seiner Partner teil. Häufig würde das DFJW als das „schönste Kind des Elysee-Vertrages“ bezeichnet. „In einer Zeit, in der Kriege und terroristische Anschläge, wie jüngst auf Israel, wieder häufiger geworden sind, müssen wir uns auch fragen, was wir vor Ort in Butzbach tun können. Es gibt sie die guten Beispiele, die Kraft spenden, Hoffnung geben und ein konkreter Beitrag zum Frieden in der Welt und unserer Stadt sind. Der Städtepartnerschaftsverein ist eine wichtige, noch junge Vereinsgründung“, so Merle.

Landrat Jan Weckler betonte mit Blick über die Kriegsgräber in Nieder-Weisel: „Hier auf der Kriegsgräbergedenkstätte in Nieder-Weisel ruhen die sterblichen Überreste von Menschen, die in einem schrecklichen Krieg ums Leben gekommen sind. Hier liegen Soldaten, aber auch zivile Bombenopfer, polnische und sowjetische Zwangsarbeiter. Es ist mehr als 80 Jahre her, dass das nationalsozialistische Deutschland am 1. September 1939 den Zweiten Weltkrieg entfacht hat, der millionenfach Leid über die ganze Welt gebracht hat. Kaum ein Land dieser Erde war nicht irgendwie von diesem Krieg betroffen.“ 

Die Lehren sollten, laut Weckler sein, dass es dazu nicht mehr kommen dürfe. Die Realität sei aber eine andere. Das hätten auch die Menschen in Europa schmerzhaft erfahren müssen. Die lange Zeit, die seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs vergangen sei, habe ein vermeintliches Sicherheitsgefühl gegeben. Das habe sich radikal geändert: Am 24. Februar 2022 hat Russland die Ukraine überfallen, hat das Völkerrecht und alle Regeln der Nachkriegsordnung gebrochen und den lange währenden Frieden in Europa beendet. „Zerstörung, Leid und Flucht sind wieder nah und präsent. Es herrscht Krieg auf unserem Kontinent.“  

Weckler sagte: „Vor sechs Wochen, am 7. Oktober, hat die Hamas vom Gazastreifen aus Israel mit einer beispiellosen und unbeschreiblichen Brutalität angegriffen. Seitdem erleben wir, wie der Hass sich entlädt, er nicht nur die arabische Welt erfasst, sondern die Welle auch zu uns schwappt, sich in europäischen und deutschen Städten entlädt.“  Der Volkstrauertag werde weiter gebraucht „aus Respekt vor den Menschen, die Opfer von Krieg und Gewalt werden und geworden sind! Wir brauchen einen Gedenktag, der uns innehalten lässt. Wir brauchen Orte des Gedenkens, damit das, was geschehen ist, nicht verdrängt wird.“ 

„Es macht uns betroffen, heute vor diesen Gräbern zu stehen, und zu wissen, dass 2000, 3000 Kilometer entfernt genau solche Friedhöfe wieder entstehen“, so Weckler. Krieg bedeute, unsägliches Leid und Tod. „Dem müssen wir uns alle entgegenstellen. Das gilt heute mehr denn je.“

Pfarrer Christoph Baumann von der evangelischen Markuskirchengemeinde, begann seine Andacht mit einer Geschichte: „Wie bestimmt man die Stunde, in der die Nacht endet und der Tag beginnt?“, fragte einmal ein jüdischer Rabbi seine Schüler. „Ist es dann, wenn man von weitem einen Hund von einem Schaf unterscheiden kann?“ – „Nein“, sagte der Rabbi. „Vielleicht ist es dann, wenn man von weitem einen Dattel- von einem Feigenbaum unterscheiden kann“, erwiderte ein anderer Schüler. Doch der Rabbi schüttelte nur stumm den Kopf. „Es ist dann, wenn du in das Gesicht irgendeines Menschen blickst und deine Schwester oder deinen Bruder erkennst“, so der Rabbi. Doch bis dahin ist die Nacht noch bei uns. Baumann merkte an, dass, wenn wir uns alle als Brüder und Schwestern verstehen würden, es einfacher wäre, Konflikte friedlich zu lösen. Man habe dann eher Verständnis für den anderen und würde eher bereit sein, aufeinander zu zu gehen.

Im Anschluss legten Landrat Weckler und Bürgermeister Merle, begleitet von Pfarrer Christoph Baumann und  Oberstleutnant Meißner, symbolisch die Kränze nieder, begleitet vom Lied „Ich hatt‘ einen Kameraden“ gespielt von der Feuerwehrmusik Butzbach Kirch-Göns, flankiert von Mitgliedern der Freiwilligen Feuerwehren, von Bundeswehr-Repräsentanten, von Mitgliedern des Kreisverbindungskommandos und der Reservisten-Kameradschaft.

BUTZBACH. Symbolisch legten Landrat Weckler, Bürgermeister Merle, Pfarrer Christoph Baumann und  Oberstleutnant Meißner, die Kränze, begleitet vom Lied „Ich hatt‘ einen Kameraden“ nieder,  flankiert von Mitgliedern der Freiwilligen Feuerwehren Butzbach und Nieder-Weisel sowie von Bundeswehr-Repräsentanten und der Reservisten-Kameradschaft.

BUTZBACH. Die Feuerwehrmusik Butzbach Kirch-Göns umrahmte auch in diesem Jahr wieder die Gedenkstunde auf dem Ehrenfriedhof in Nieder Weisel.

BUTZBACH. Am gestrigen Volkstrauertag fand auf der Kriegsgräberstätte Nieder-Weisel eine Gedenkfeier für die
Opfer beider Weltkriege statt.

Comments are closed.