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„Berühmte Besucher Butzbachs“

BUTZBACH. Das Anwesen Braubach in der Färbgasse (vormals von Günderrode), nach einer Zeichnung von Louis Braubach 1883.

Karoline von Günderrode (1780 – 1806)

BUTZBACH. Die von Christa Wolf in ihrem bekannten Roman „Kein Ort. Nirgends“ fiktive Begegnung der beiden Schriftsteller Heinrich von Kleist und Karoline von Günderrode in Winkel am Rhein, in der beide auf ihre Verbindung zu Butzbach zu sprechen kommen, hätte mit etwas Glück auch real, im Frühjahr 1801, in Butzbach stattfinden können. Karoline besuchte öfter ihre Verwandtschaft in der Butzbacher Färbgasse. 

Großmutter und Großtante stammten aus der berühmten Familie Fabricius/Fabrice (von Graß), die 1660 das Hofgut Graß bei Hungen (heute im Besitz der OVAG) erworben hatte. 1786 kaufte der Großvater mütterlicherseits, Christian Maximilian von Günderrode als „Privatier“, im Alter von 56 Jahren, eines der stattlichsten Häuser der Stadt und zog mit Frau Louise (54) und der ledigen Schwägerin Johanna von Drachstädt, sowie den Töchtern Charlotte (25) und Friederike (14) von Hof Grass nach Butzbach. Das Haus Günderrode ist den Butzbachern besser bekannt als das frühere Haus der Familie Braubach, gegenüber dem Museum. Heute steht leider nur noch ein Bruchteil des ehemals großen Anwesens, das von der Wilhelm-Braubach-Straße bis zur Straße Am Ballhaus (Druckhaus Gratzfeld) reichte, und sogar über einen eigenen Theatersaal verfügt haben soll. 

Nach dem Tod des Großvaters 1813, gehörte die Immobilie den „Erben von Günderrode“, 1817 kaufte es Johannes Braubach. Ein Jahr später zog sein Sohn Wilhelm mit seiner Frau und seinen Söhnen (u.a. den Weidigschülern Karl und Wilhelm) mit in das Haus. Karolines Mutter Louise, die vermutlich um 1805 von Hanau nach Butzbach zog, lebte noch bis zu ihrem Tode 1819, zusammen mit einer Bediensteten, in der Färbgasse. Vermutlich hatte sie nach dem Verkauf dort ein lebenslanges Wohnrecht erhalten. 

Karolines Eltern, Hektor Wilhelm und Louise Sophie von Günderrode, hatten 1778 auf Hof Graß geheiratet. Im Jahr 1780 wurde Karoline in diese traditionsreiche, standesbewusste Adelsfamilie hineingeboren, die Briefe der Familie aus Butzbach waren oft mit dem Zusatz „Hochwohlgeboren“ an sie adressiert. Ein bedeutender Vorfahr der Günderrodes war Kanzler von Landgraf Philipp dem Großmütigen, ein Sohn von ihm begründete, durch Einheirat in die Familie von Holzhausen, die Aufnahme in die Frankfurter Adlige Gesellschaft „Alten Limpurg“. Über Jahrhunderte gehörte die Familie zum Frankfurter Erbadel, der das Monopol über alle wichtigen Positionen im Rat besaß. 

Doch Karoline fiel schnell aus dem (standesbewussten) Rahmen. Entgegen der zeitgenössisch propagierten Vorstellung von der „dreifachen Bestimmung des Weibes“ als Hausfrau, Ehefrau und Mutter, träumte sie vom Ausbruch aus dieser patriarchalen Gesellschaft. Sie wollte selbstbestimmt sein, „etwas Wildes, Großes, Glänzendes“ schaffen. Sie wollte es den Männern gleichtun und eine philosophische Dichterin sein. 

Mit 17 Jahren verließ sie gezwungenermaßen das Haus in Hanau, in das die Mutter nach dem frühen Tod des Vaters 1786 (er war knapp 31 Jahre alt), mit den sechs kleinen Kindern gezogen war. Im „Cronstett-Hynspergischen Damenstift“ in Frankfurt/M. war für die Familie von Günderrode, als Mitglied der Adelsgesellschaft „Alten Limpurg“ ein Platz frei geworden. Die Familie nutzte die Gelegenheit und brachte sie dort unter, vermutlich um die „rebellisch“ werdende, junge Frau zu bändigen. Dort unter den überwiegend älteren „Fräuleins“ fühlte sie sich „lebendig begraben“. Doch ganz so schlimm, wie es oft in der Literatur über sie zu lesen ist, war es nicht: Nichts lenkte sie hier vom Studieren und Schreiben ab, kein Gelöbnis band die junge Stiftsdame. 

Sie konnte sich einen Mann suchen, Besuch empfangen, mit Begleitung ausgehen und zu Verwandten und Freunden reisen. Das nutzte sie so oft sie konnte und so hielt sie sich auch in Butzbach auf. Nach dem Tod von Großtante und Großmutter, kurz hintereinander, verbrachte sie von Januar bis März 1800 sogar drei Monate in Butzbach, um den Großvater zu betreuen. Hier begegnete ihr der aufgeschlossene Ostheimer Pfarrer Johann Georg Diefenbach, der ihr „Potenzial“ erkannte und sie in ihren philosophischen Interessen unterstützte, indem er ihr „Kant“ näherbrachte. Den Tag ihres 20. Geburtstag, den 11. Februar 1800, verbrachte sie in Ostheim bei Diefenbach und seiner Frau. Sie nahm dort sogar an einer Trauung in der Kirche teil. 

Weitere wichtige Personen im Leben von Karoline stammten aus dem sogenannten „Romantikerkreis“: Ihre erste große Liebe, Friedrich Carl von Savigny, der später bedeutendste Rechtsgelehrte dieser Zeit, der aber lieber die konventionelle und vermögende Kunigunde Brentano heiratete, die Geschwister Bettine Brentano und Clemens Brentano, der sie leidenschaftlich begehrte, und ihre letzte Liebe, der verheiratete Heidelberger Professor und Altphilologe Friedrich Creuzer, dessen vollständiger Bruch mit ihr (sie hatte sich auch beruflich ganz in seine Hände gegeben) sie dazu bewog, ihrem Leben, selbstbestimmt, am 26. Juli 1806, mit einem Dolchstoß, am Rheinufer in Winkel, ein Ende zu setzen.

BUTZBACH. Karoline von Günderrode (1780–1806).Repros: Storck

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