Zwei Frauen und ein Baby aus der Ukraine leben bei Familie Schnitter in Langenhain-Ziegenberg
LANGENHAIN-ZIEGENBERG (amf). Seit dem 20. März teilt sich Familie Schnitter mit zwei ukrainischen Frauen und einem acht Monate alten Baby das Leben.
„Die beiden geflüchteten Frauen kamen mit Kind im Kinderwagen und jeweils nur einer Tasche und einem Rucksack in Deutschland an“, erzählt Sandra Schnitter, alleinerziehende Mutter und Vollzeitbeschäftigte in der Kerckhoff-Klinik in Bad Nauheim. Seit Ende März leben die 33- und 34-jährigen ukrainischen Frauen und das Baby aus Odessa in der anliegenden Wohnung im Haus von Schnitters Eltern in Langenhain-Ziegenberg.
Schnitter beschreibt, dass der Anfang für alle emotional und schwierig gewesen sei. „Nach der Ankunft der beiden bin ich erst einmal Kleidung einkaufen gegangen. Die beiden sind mit nichts gekommen. Und als sich in der Nachbarschaft rumgesprochen hat, dass wir ukrainische Flüchtlinge aufgenommen haben, wurden Pampers und Kinderklamotten vor unsere Tür gelegt. Das war ein toller Support.“ Das Dorf habe die beiden Ukrainerinnen schnell willkommen geheißen. Es gäbe viele Nachbarn, die oft Hilfe anbieten würden.
Als Familie Schnitter vom Ausbruch des Krieges Ende Februar erfuhr war sofort für Sandra Schnitter, ihre Eltern und ihre Kinder klar: Es muss geholfen werden. Sie und ihre Familie meldeten sich beim Wetteraukreis, um Unterstützung anzubieten. Die Wohnung im Haus der Eltern war unbewohnt, weshalb Ressourcen und Kapazitäten vorhanden waren, um einen Beitrag in dieser Krise zu leisten. Sie erzählt, dass Teile ihrer Familie damals im Krieg aus dem Sudetenland flüchten mussten. „Meine Großeltern waren Flüchtlinge. Als der Ukrainekrieg losging, mussten wir einfach helfen. Die Bereitschaft meiner Eltern Menschen aufzunehmen war von Anbeginn des Krieges da.“ Eine ukrainische Bekannte, die die Ukrainerinnen aus Odessa mit ihrem Baby bei sich kurzfristig aufgenommen hatte, nahm Kontakt auf. Seitdem leben die drei ukrainischen Gäste im Haus. Die Wohnung hat ihren eigenen Eingang, eine eigene Küche und Bad mit Rückzugsmöglichkeiten.
Wenn Schnitter über das Zusammenleben mit den Flüchtlingen aus der Ukraine redet, so nennt sie die drei liebevoll „unsere ukrainischen Gäste“. Doch bei der Beschreibung des Zusammenlebens wird schnell klar, die beiden Frauen und das Baby sind schon lange keine „Gäste“ mehr. Nach kurzer Zeit seien die drei Familienmitglieder geworden. „Das Zusammenleben ist liebevoll, wertschätzend, aber vor allem quirlig. Es ist nun immer was los bei uns!“, berichtet sie. Sie macht deutlich, dass ihre ukrainischen Gäste sehr bescheiden und dankbar für jegliche Hilfe und Angebote seien. Auch Oma und Opa, die im Haus gemeinsam mit den Geflüchteten leben, würden das Zusammenleben sehr schätzen. „Mein Vater und meine Mutter gehen mit dem Baby oft spazieren. Das hält die beiden fit und gibt der 34-jährigen ukrainischen alleinerziehenden Mutter Zeit für sich“, erzählt sie lächelnd. Nach kurzer Zeit des Zusammenlebens seien schon Geburtstage zusammen gefeiert worden und Ausflüge gemacht worden. „Die drei sind gar nicht mehr aus unserer Familie wegzudenken“, sagt Schnitter glücklich. Jede Woche würde einmal Bortsch (ein traditionell ukrainisches Gericht) von den zwei ukrainischen Frauen für die gesamte Familie gekocht. Sie schwärmt: „Das Schönste ist, dass wir sehr viel von der ukrainischen Kultur kennenlernen dürfen.“
Dennoch sei das Zusammenleben auch sehr emotional und manchmal herausfordernd, wie sie beschreibt. Der Krieg sei für einige Menschen nun schon zur Normalität geworden. Für Familie Schnitter ist dies nicht der Fall, denn sie bekommen tagtäglich hautnah mit, dass der Krieg alles andere als die normale Realität ist und sein sollte: „Ab und an ist die Situation äußerst belastend. Wenn die beiden Ukrainerinnen mit ihrer Familie skypen und während des Telefonats die Sirenen angehen und das Telefonat abgebrochen werden muss, weil die Beteiligten schnell in den Bunker fliehen müssen, berührt uns das natürlich auch.“ Die ukrainischen Gäste der Schnitters haben Eltern, Männer und Großeltern noch in Odessa. Es sei sehr emotional, wenn sie schlechte Nachrichten bekommen. „Da bleibt uns nichts anderes übrig, als live dabei zu sein und mit den beiden Tränen und Leid zu teilen.“
Zunächst war am Anfang des Zusammenlebens auch die Sprachbarriere nicht nur die größte Angst, sondern auch die größte Herausforderung. Doch durch die Digitalisierung und Möglichkeiten wie ukrainisch-deutsche Übersetzungsapps würde dies eine unbegründete Angst gewesen sein.
Man würde auch merken, dass die beiden sehr an Heimweh leiden. Schnitter erzählt, dass beide Ukrainerinnen am Anfang sehr erleichtert waren, dass sie es geschafft haben, aus dem Land zu flüchten, doch nun fehlt ihnen ihr Zuhause. Es sei klar, dass beide nach dem Krieg zurück in die Ukraine wollen. Doch die Frage nach der Rückkehr in die Heimat und wie lange der Krieg noch andauern wird, steht wie ein Elefant unübersehbar immer mit im Raum und löst immer wieder Anspannung für alle aus.
Sie sagt: „Das Jonglieren der Aufgaben ist manchmal nicht ganz einfach und neben Mama-Dasein und Vollzeitjob herausfordernd.“ Dennoch meistern sie und ihre Familie das alles gerne: „Es kommt was zurück! Die Unterstützung wird angenommen, gewürdigt und gewertschätzt von den Mädels. Außerdem ist es das Einzige, was wir als Familie beitragen können, damit es den Mädels wenigstens ein bisschen besser geht. Wir teilen unser Zuhause unglaublich gerne mit ihnen.“
Schnitter ist überzeugt von ihrer Entscheidung: „Man muss offen sein und wenn man genügend Ressourcen hat, dann soll man es wagen. Meine Familie und ich wurden durch unsere ukrainischen Gäste sehr bereichert. Die Herausforderung hat unsere Familie zusammengeschweißt und unseren Familienzusammenhalt gestärkt. Ich kann es jedem empfehlen!“