Erinnerung an jüdisches Leben in Griedel im Zeichen der Freundschaft

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Erinnerung an jüdisches Leben in Griedel im Zeichen der Freundschaft

BUTZBACH. In der Gedenkveranstaltung „Jüdisches Leben in Griedel“ wurde im Bürgerhaus Griedel das Straßenschild Dr.-Adolph-Baer-Straße enthüllt – im Beisein unter anderem von (v.l.) Klaus-Jürgen Wetz, Michael Baer, Hannah Baer und Bürgermeister Michael Merle. 2 Fotos: Aaron Löwenbein

Gedenkveranstaltung der Stadt Butzbach mit Würdigung Adolph Baers / Familie aus USA angereist

BUTZBACH (thg). Geprägt von Erinnerung, Gedenken und Freundschaft war die Veranstaltung der Stadt Butzbach „Jüdisches Leben in Griedel“ am Montag im Bürgerhaus im Stadtteil. Im Mittelpunkt stand Dr. Adolph Baer, gebürtiger Griedeler und Jude, der als Kind mit seiner Familie vor den Nazis in die USA floh. Er starb am 6. September 2020 im Alter von 90 Jahren. 

BUTZBACH. Im Butzbacher Rathaus trug sich Hannah Baer, Witwe des in Griedel geborenen und 1938 als Kind vor den Nazis geflohenen Adolph Baer, in das Goldene Buch der Stadt ein. 2 Fotos: Philipp Hlawiczka

Zur Veranstaltung waren neben seiner Witwe Hannah auch seine drei Kinder – Töchter Dede und Sandy sowie Sohn Michael – und fünf der sechs Enkelkinder sowie weitere Familienmitglieder gekommen, zusammen 16 Personen aus den USA und Israel. Sie hatten bereits vor der Veranstaltung Butzbach mit einem Besuch im Rathaus, in dem sich Hannah Baer ins Goldene Buch eintrug, und Griedel erkundet. Darunter war auch der Ort, an dem im Neubaugebiet „Südlich der Hochstraße“ künftig die „Dr.-Adolph-Baer-Straße“ liegt. Die Benennung erfolgte auf einstimmigen Beschluss der Stadtverordnetenversammlung. Provisorisch war dort bereits ein Straßenschild aufgestellt worden, im Bürgerhaus wurde das eigentliche Schild dann feierlich enthüllt. Ein Exemplar erhielt Hannah Baer als Geschenk. 

BUTZBACH. Vor der Veranstaltung im Bürgerhaus Griedel besuchte die Familie von Dr. Adolph Baer, der vor zwei Jahren verstorben ist, die künftig nach ihm benannte Straße im Baugebiet „Südlich der Hochstraße“. Foto: thg

Zentraler Programmpunkt war der Vortrag von Klaus-Jürgen Wetz. Der Griedeler Pädagoge und Historiker skizzierte die jüdische Geschichte in Griedel und ging dabei besonders auf Adolph Baer ein. Baer wurde am 7. Januar 1930 als Sohn von Eugen und Hedwig Baer geboren. Die Familie lebte in Griedel im Haus Ecke Brudergasse/Kleinbachstraße, der Vater betrieb im eigenen Anwesen eine Metzgerei. Er hatte keine Geschwister. Seine Großeltern väterlicherseits, Adolf und Therese Baer, sind auf dem jüdischen Friedhof in Griedel begraben. 

Erich Wetz, Vater von Klaus-Jürgen Wetz, und Baer waren Nachbarn, Spiel- und Schulkameraden. Erich lotste Adolph beispielsweise auf dem Heimweg durch Gärten, damit er nicht auf der Straße Opfer von antijüdischen Prügelattacken wurde. Ende November 1938, nach der Reichspogromnacht, verließen die Baers Deutschland über Frankreich und kamen nach New York. 

In den USA studierte Adolph Baer Pharmazie und führte drei Apotheken in Hagerstown/Maryland, wo er mit seiner Familie lebte. Er hatte sich geschworen, nie wieder einen Fuß in das Land seiner Verfolger zu setzen. Die Hilfe und Freundschaft von Erich Wetz hat er aber nie vergessen, und so kam er in den 70er Jahren nach Griedel zurück, um Spuren seiner Kindheit zu suchen. Es folgten mehrere Treffen der Freunde auch mit den Familienangehörigen, und die Freundschaft setzte sich in die nächste Generation fort. 

Wetz erinnerte daran, dass sich im 15. Jahrhundert erste und ab dem 16. Jahrhundert dann vermehrt jüdische Spuren in Griedel nachweisen lassen. Am Angerberg wurde 1862 eine Synagoge errichtet. Das zerstörte Gebäude wurde 1953 abgerissen, die Steine teils für Privathäuser verwendet und auf der Brache ein Feuerwehrgerätehaus errichtet. Es wurde nicht erhalten, nicht restauriert. Wetz kritisierte dies als „geschichtsignorierendes Verhalten“ im Umgang mit der NS-Vergangenheit. Eine Gedenktafel wurde am Nachfolgebau auf Initiative Baers angebracht. 19 Griedeler Juden verloren ihr Leben in Konzentrationslagern. 

Manfred de Vries, Vorsitzender der jüdischen Gemeinde Bad Nauheim, berichtete, dass die Gemeinschaft 270 Mitglieder zähle. Er hob hervor, dass die Freundschaft von Baer und Wetz ein gutes Beispiel auch für die Zukunft sei. 

Stadtverordnetenvorsteher Dr. Matthias Görlach erinnerte an den Onkel Adolph Baers, Artur, den er als Kind kennengelernt habe. Er sei von seiner Ruhe und Freundlichkeit beeindruckt gewesen. In der heutigen Welt sei es unter anderem wichtig, die Erinnerung an die „dunkelsten Stunden“ zu bewahren, und das auch mit dem lokalen Bezug. 

Michael Baer sprach auf Englisch von einem großartigen Tag, den seine Familie verlebt habe. Die Reise sei für alle „unglaublich wichtig“ gewesen. Der Gebetsschal seines Vaters, den seine Mutter mitgebracht hatte, soll einen Platz im Butzbacher Ratsherrensaal, der zeitweise als jüdischer Gebetssaal diente, erhalten. Bürgermeister Michael Merle sagte einen „Ehrenplatz“ dafür zu. Baer verabschiedete sich mit den Worten: „Dankeschön, Shalom“. 

BUTZBACH. Bürgermeister Michael Merle überreichte Dr. Adolph Baers Witwe am Schluss der Veranstaltung Blumen und bedankte sich für ihren Besuch. Foto: thg

Merle bedankte sich bei Wetz für die Darstellung der Geschichte, Wetz dankte Merle für seinen Einsatz gegen Antisemitismus und Rassismus und die Initiative für die Straßenbenennung. Dass die Familie Baer so viel über jüdisches Leben in Butzbach auch beim Besuch im Rathaus erfuhr, sei auch dem ehemaligen Museumsleiter Dr. Dieter Wolf zu verdanken, der das Thema besonders erforscht habe, so Merle. Nach dem Tod Adolph Baers, angesichts seines belasteten Vornamens „Ed“ genannt, schrieb ein Trauernder ins Kondolenzbuch „Ed was a great man“, also ein „großartiger Mann“. Dies griff Merle auf und sagte: „Famlilie Baer ist eine großartige Familie.“

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