GESCHICHTE – Historiker Erhard Bus beschreibt schlimmste Phase des Dreißigjährigen Krieges 1634 bis 1636
BUTZBACH (dt). In der zweiten Phase des Dreißigjährigen Krieges, etwa ab 1634, stand der damalige Großraum Wetterau – von Mainz bis Gelnhausen und Gießen bis Darmstadt – im Brennpunkt schrecklicher Verwüstungen, des grausamen Mordens und Plünderns. Diese Feststellung traf der Nidderauer Historiker Erhard Bus, der auf Einladung des Bundes für Volksbildung und des Butzbacher Geschichtsvereins am Mittwoch im Museum den zweiten Teil seiner Recherchen zum Dreißigjährigen Krieg präsentierte. Über den ersten Teil des Kriegsgeschehens hatte Bus im März referiert.
„Je länger dieser Krieg dauerte, umso rauer und enthemmter wütete die Soldateska mit schlimmen Folgen für die Zivilbevölkerung“, bilanzierte der Historiker. Die Wetterau sei schon immer mit ihren guten Böden und ihrer prosperierenden Wirtschaft ein gesegneter Landstrich gewesen. „Was im Frieden ein Segen war, wurde im Krieg zum Fluch“, stellte Bus fest.
Durchziehende Soldatenheere mussten versorgt und oftmals auch untergebracht werden. Dafür war die Wetterau eine ideale Region. Der gesamte Krieg habe seine Ursache –neben seiner Bedeutung als „Konfessionskrieg“ – in einem „Konglomerat von Konfliktstoffen“ gehabt und habe sich in seinem Verlauf zu einem Machtkampf um die europäische Vorherrschaft entwickelt. Der Prager Fenstersturz sei lediglich ein letztes Fanal gewesen.
Die Schlacht bei Nördlingen am 6. September 1634, in der die verbundenen katholischen Streitkräfte die schwedische Armee geschlagen hatten, war von entscheidender Bedeutung. Die Schweden seien nach Norden geflohen, was im Raum Frankfurt, Hanau, im gesamten mittelhessischen Raum und damit auch in der Wetterau zu Raub, Plünderungen und massiven Übergriffen auf die Zivilbevölkerung geführt habe. Die Festung „Philipps-Eck“ und die Festung Hanau seien zu Fluchtpunkten für die Bevölkerung geworden. Als wichtige Quellen für die heutige historische Forschung dienenKirchenbücher, in denen die Pfarrer auch markante Ereignisse in den Orten festgehalten hätten, und daneben das aufgefundene Tagebuch des einfachen Söldners Peter Hagendorf über den Zeitraum von 1625 bis 1649. Dieser sei mit seinem Truppenverband 1646 auch durch Butzbach gezogen.
Die Bevölkerung mancher Dörfer sei 1635 innerhalb von zwölf Monaten um die Hälfte dezimiert worden. Schwache, verletzte Menschen, Kinder und Leichen seien von Wölfen gefressen worden. Auch von Kannibalismus wurde berichtet. Im Dorf Erbstadt wurden 89 Häuser und 97 Scheunen durch „Brandschatzung“ vernichtet. Zu den Verwüstungen kam im Jahr 1635 die Pest. So hatte die Stadt Butzbach vor Kriegsbeginn 2000 Einwohner. Durch die von Soldaten eingeschleppte Pest seien in jenem Jahr 1082 Einwohner – und damit die Hälfte der Bevölkerung – verstorben.
Am 26. Oktober 1645 eroberten Hessen-Kasseler Truppen – nach der Sprengung des Weiseler Tores – die Stadt Butzbach. Die Rückeroberung durch Hessen-Darmstädter Truppen sei dann am 19. April 1646 erfolgt.
Nach mehrjährigen Verhandlungen wurden die Kriegshandlungen 1648 mit dem Westfälischen Frieden beendet. Wichtige Bestandteile der Friedensvereinbarungen waren zunächst territoriale Einigungen und Schadensersatzzahlungen (an Schweden). Weiter war die Festlegung der Gleichheit der Konfessionen nach dem Status vom 1. Januar 1624 von großer Bedeutung. Ganz wichtig – so der Referent – sei die „Entkonfessionalisierung der Politik“ gewesen. Eine problematische Situation sei entstanden durch die notwendige Abwicklung der Demobilisierung der Truppen; marodierende Soldaten seien weiter umhergezogen.
In der Bilanz des Krieges habe man festgestellt, dass die Kriegsschäden von Region zu Region höchst unterschiedlich gewesen seien. Beispielsweise seien ganze Dörfer im Spessart komplett entvölkert worden. Von der Bevölkerung von 20 Millionen Menschen vor Kriegsbeginn auf deutschem Gebiet kamen acht Millionen um. Dies seien 40 Prozent der Gesamtbevölkerung gewesen. Prozentual gesehen seien selbst die Opferzahlen im Ersten und Zweiten Weltkrieg in Deutschland geringer gewesen. In der Wetterau sei die Situation noch schlimmer, es seien im Dreißigjährigen Krieg 63 bis 68 Prozent der Bevölkerung als Opfer zu beklagen gewesen. Kulturelle Schäden hätten Auswirkungen bis in unsere Zeit. Ein Ausgleich der immensen Bevölkerungsverluste sei danach in mehreren Generationen nicht vollständig gelungen, sei nicht auf natürlichem Wege zu beheben gewesen. Die Wetterau sei jedoch stets äußerst attraktiv für Zuwanderer aus anderen, wirtschaftlich schwächeren Regionen gewesen.