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Pfarrer halten Gemeinde-Zucht-Eber

WALDSOLMS-BRANDOBERNDORF. Diese Ferkel stürzten sich um das Jahr 1940 auf die Futtertröge in Brandoberndorf. Repro: ser

225 Jahre lange Brandoberndorfer Tradition 1842 im Zuge der Anschaffung eines zweiten Tiers beendet 

WALDSOLMS-BRANDOBERNDORF (ser). Die Pfarrer früherer Jahrhunderte betrieben – wie die Schulmeister – zusätzlich eine eigene Landwirtschaft. So kam es, dass der Brandoberndorfer Pfarrer Georg Strack ab 1619 auch den Gemeinde-Eber in seinen Stallungen hielt. Als Gegenleistung durfte er einige Schweinchen mehr als üblich zur Eichelmast treiben lassen.

Sein Nachfolger Jonas Martini setzte diese Vereinbarung fort. Ihm lieferte die Gemeinde für die Betreuung des Eber aber schließlich noch einiges Brennholz – das „Eberholz“.

125 Jahre später – 1744 – erhielt Pfarrer Ludwig Christoph Medicus immer noch acht bis zehn Karren Eberholz für die Haltung des Gemeinde-Ebers. Damals verlangte der Pfarrer-Adjunkt Johann Ambrosius Heinrich Happel, der Pfarrer Medicus unterstützte, zusätzliches Brennholz von der Gemeinde für seinen eigenen Haushalt. Diese lehnte sein Ansuchen jedoch ab. Da alle Einkünfte zwischen dem Pfarrer und seinem Adjunkt geteilt würden, müssten sie auch das Brennholz teilen. Pfarrer Medicus erhalte ein Los auf seinen Hof, eines auf die Pfarrei und noch zusätzlich das sogenannte Eberholz. Wenn beide mit diesem Holz nicht auskämen, wollte die Gemeinde ihnen weiteres Holz „zu einem leidlichen Anschlag“ überlassen. Sie wäre auch nicht abgeneigt, ihnen dieses Holz zu schenken. Es sollte daraus aber keine Gerechtsame gemacht werden.

In der Amtszeit von Pfarrer Medicus schloss die Gemeinde einen neuen Vertrag. Darin verpflichtete sich der Pfarrer zur weiteren Haltung des Gemeinde-Ebers. Als Gegenleistung durfte er statt sechs künftig zehn Schweine zur Mast austreiben. Ferner erhielt er zu dem doppelten Losholz auf seine beiden Häuser drei der stärksten und schönsten Stämme aus dem Gemeindewald.

Der 1818 eingesetzte Pfarrer Johannes Franz Otto bemängelte aber später, dass schon seit Jahren nur noch Brennholz, nicht aber die vereinbarten Stämme geliefert wurden.

Als 1839 der Camberger Tierarzt Becker feststellte, dass die Gemeinde Brandoberndorf einen zweiten Zuchteber benötigte, verlangte diese vom derzeitigen Pfarrer Johann Philipp Bickel, einen weiteren Eber zu halten. Dieser Wunsch stellte die traditionelle Eberhaltung durch die Pfarrer allerdings auf eine ernsthafte Bewährungsprobe. Dekan Senft aus Usingen fand das Verlangen der Gemeinde „überaus anstößig“ und sprach von einem „höchst ärgerlichen Ansinnen“. Im Gegenzug machte er den Vorschlag, dass die Gemeinde anstelle des Flachszehnten dem Pfarrer eine jährliche Ablösung zahlen sollte.

Mit diesem Vorschlag stieß er bei der Gemeinde auf offene Ohren. Diese gedachte aber, bei dem Handel noch mehr herauszuschlagen. Sie ging einen Schritt weiter und wollte gar den ganzen Pfarrzehnten – der nach dem Pfarrinventar 1358 Gulden wert war – mit einer jährlichen Abfindung von 1200 Gulden in bar ablösen.

Pfarrer Bickel war dieser Vorschlag nicht geheuer. Seit ältesten Zeiten habe der Wert des Geldes ständig abgenommen. Das sei auch für die Zukunft anzunehmen. Wenn er nun eine feststehende Naturalien-Einnahme mit einem unsicheren Geldwert vertauschen würde, möchten ihm die Nachfolger bitterste Vorwürfe machen. Außerdem könnten ja auch Ereignisse eintreten, wo die heute reiche Gemeindekasse erschöpft wäre und die Zahlungen eingestellt oder auf unbestimmte Zeit verschoben werden müssten. Er denke da an den Ausbruch eines Krieges oder eine Feuersbrunst. Auch wäre ein Pfarrer mit einer starken Familie immer froher für Naturalien als für wechselndes Geld.

Der Schultheiß aber ließ nicht locker. Er verlangte den zweiten Eber vom Pfarrer, da die kleinen Mutterschweinchen von dem großen Eber nicht begattet werden könnten. Das Konsistorium erwiderte darauf, der derzeitige Eber könne kleine und große Schweine begatten. Darauf antwortete der Schultheiß: „Ich sage nein! Eine Katze kann auch keine Maus begatten! Der Schaden, der hierdurch entsteht, ist groß. Das kann kein Kirchenrath beurteilen. Es sind schon viele Schweinchen krepiert.“

Es folgten langwierige Verhandlungen. Am 2. November 1842 erzielten die Gemeinde Brandoberndorf und Pfarrer Johann Philipp Bickel schließlich eine Einigung. Die Ablösung des Gesamt-Zehnten durch eine Geldrente wurde nicht erreicht. Dafür fiel aber der Flachszehnte und alle sogenannten „kleinen Zehnten“ weg. An deren Stelle trat die Zahlung einer jährlichen Summe von 63 Gulden, 16 Kreuzer. Die Gemeinde übernahm die Haltung der Zuchteber in eigener Regie, stellte dafür aber auch die weitere Lieferung des „Eberholzes“ ein.

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