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Plädoyer für die Menschlichkeit

KIRCHE  AM MARKT – Christen der in Butzbach vertretenen Konfessionen setzen Zeichen der Einheit

BUTZBACH (win). Alle zwei Jahre, immer am dritten Sonntag im September, feiern katholische, orthodoxe und evangelische Christen aus Butzbach und den umliegenden Orten gemeinsam ein großes Fest auf dem Butzbacher Marktplatz. Sie wollen damit ihre Verbundenheit in Christus öffentlich zeigen und so ein Zeichen der Einheit in die Stadt hinein geben. Bei strahlendem Wetter feierten Christen aller Konfessionen in Butzbach ihr ökumenisches Kirchenfest „Kirche am Markt“, an dem sich die katholische St. Gottfriedsgemeinde, die orthodoxe St. Petrus und Paulusgemeinde, die evangelische Stadtmission, die evangelischen Kirchengemeinden Pohl- und Kirch-Göns sowie die evangelische Markus-Kirchengemeinde beteiligten.

In diesem Jahr drehte sich bei der Veranstaltung alles um „Gerechtigkeit“ – ein wichtiges Thema im Alltag, aber auch ganz zentral in der Bibel. Mit einer Lesung aus dem Matthäus-Evangelium eröffnete Tobias Roßbach, Pfarrer der katholischen St. Gottfriedgemeinde, den ökumenischen Gottesdienst. Den musikalischen Beginn mit „Großer Gott, wir loben Dich“, gestaltete der Posaunenchor der Markuskirche unter der Leitung von Kantor Uwe Krause. 

Im Gespräch mit Pfarrer William Thum berichtete der Syrer Alaa Tello in gutem Deutsch über seinen bisherigen Lebensweg. Der 25-Jährige ist seit drei Jahren in Deutschland. Geflohen aus Damaskus über die Türkei nach Griechenland, kam er von Serbien über Kroatien nach Österreich. Die Flucht über Land und mit dem Boot sei traumatisch gewesen. Er habe mit 40 Leuten in einem Boot gesessen, das keiner steuern konnte. Nach sechs Stunden auf dem Meer griff die griechische Polizei das Boot auf und zog es an Land. Er fasste den Entschluss, nach Deutschland zu gehen. Schließlich erreichte er Passau. Von dort ging es erst nach Hanau, drei Monate später nach Friedberg, und schließlich kam er nach Kirch-Göns. Er lebte in Butzbach in einer Unterkunft zusammen mit zehn weiteren Männern. Seinem Ayslantrag wurde stattgegeben. An einer Fachschule in Friedberg betreute er die Neuankömmlinge, half Sprachbarrieren zu überwinden. Inzwischen macht er eine Ausbildung zum medizinischen Fachangestellten in einer Zahnarztpraxis und ist Übungsleiter Breitensport für Kinder und Jugendliche beim TV Pohl-Göns/Kirch-Göns. 

Es sei eine bewusste Entscheidung gewesen, zu helfen, erfuhren die Gottesdienstbesucher von Stefanie Rieck, die sich in der Flüchtlingshilfe engagiert. Im Gespräch mit Pfarrer Christoph Baumann berichtete sie, dass sie unter anderem Afghaninnen in Deutsch unterrichtet, die aufgrund ihres Status‘ noch keinen offiziellen Deutschkurs besuchen dürfen. Die Arbeit habe ihre neue Perspektiven und Horizonte eröffnet, andere Lebensweisen und  -ansichten vermittelt.

Musikalisch begleitet wurde der Gottesdienst vom Chor der rum-orthodoxen Gemeinde. Die aus Madagaskar stammende Hanitry Gerull, die seit 18 Jahren in Deutschland lebt, sang „Wir sind alle unterwegs“ von Christoph Baumann auf der Gitarre begleitet. 

„Das Leben ist ein Lernprozess für alle. Auch Jesus war ein Lernender“, sagte Baumann. Es sei wesentlich, sich auf neue Lebensweisen einlassen zu können. Was „Anpassen an deutsche Kultur“ bedeute, sei gar nicht klar definiert, erläuterte Pfarrer Thum. Veränderungen passierten nicht von heute auf morgen. Auch bei uns hätten sie über Generationen gedauert, erklärte er und erinnerte zum Beispiel an die Frauenrechte und die Emanzipation. Auch sei es wünschenswert, Vielfalt und Unterschiede auszuhalten, zu akzeptieren und zu tolerieren. „Die internationale Währung heißt Menschlichkeit“, schloss er. Nicolas Esber von der St. Petrus und Paulusgemeinde und der Chor sprachen die Fürbitten. Im Anschluss schritt er mit dem Evangeliar durch die Reihen der Gläubigen, während Gemeindemitglieder Brot als Zeichen einer „Mahlgemeinschaft“ verteilten.

Der Gottesdienst endete mit dem Segen, gemeinsam gesprochen von allen vier Pfarrern. Die Kollekte war bestimmt für den Verein Flüchtlingshilfe Butzbach, die damit ein Kunstprojekt für traumatisierte Frauen und ihre Kinder ermöglichen möchte. An den Infoständen der Diakonie, der Caritas und Stadtmission konnten sich Interessierte über die verschiedenen Gemeinden und ihre vielfältige Arbeit informieren. Natürlich kam auch das leibliche Wohl nicht zu kurz, für das Gemeindemitglieder der St. Petrus und Paulusgemeinde und der evangelischen Kirchengemeinden Pohl- und Kirch-Göns sorgten. Im Laufe des Nachmittags gab es noch zahlreiche künstlerische Aufführungen, bevor das ökumenische Fest mit einer Abschlussandacht endete.

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