„Politik muss unbürokratisch helfen, um Vielfalt des Handwerks zu sichern“

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„Politik muss unbürokratisch helfen, um Vielfalt des Handwerks zu sichern“

BAD NAUHEIM. Viel Prominenz traf sich auch nach der zweijährigen Pause wieder auf dem Neujahrsempfang der Kreishandwerkerschaft in Bad Nauheim. Hier unter anderem Landrat Jan Weckler, Europaministerin Lucia Puttrich und Bad Vilbels Bürgermeister Sebastian Wysocki. Text und Fotos: jwn

Neujahrsempfang der Kreishandwerkerschaft in Bad Nauheim / Plädoyer für Werkunterricht in der Schule

Bad Nauheim (jwn). Nach einer coronabedingt zweijährigen Zwangspause trafen sich die Handwerker in diesem Jahr wieder Anfang der Woche zu ihrem traditionellen Neujahrsempfang in Bad Nauheim. 

Als Nachfolger des im Jahr 2021 verstorbenen Kreishandwerksmeister Werner Ulowetz begrüßte am Dienstagnachmittag Holger Winkler als neugewähltes Oberhaupt der Wetterauer Kreishandwerkerschaft die knapp 100 Gäste im Hotel Dolce zunächst mit einer positiven Nachricht. Trotz der momentan weltweiten Krisensituation aufgrund des Ukrainekrieges ist die Zahl der Handwerksbetriebe im vergangenen Jahr um 530 auf nunmehr 77 638 Betriebe angewachsen. Das entspricht einem leichten Plus von 0,7 Prozent. Alleine im Wetteraukreis gibt es mittlerweile über 4000 Handwerksbetriebe mit im Durchschnitt sieben bis zehn Mitarbeitern.

Doch das vergangene Jahr mit der Coronakrise, dem Krieg in der Ukraine, den Lieferengpässen und Kostenexplosionen sowie dem Fachkräftemangel in allen Bereichen lässt das neue Jahr mit großer Sorge betrachten. „Auch dem Handwerk stehen offensichtlich raue Zeiten bevor“, mutmaßt der neue Kreishandwerkermeister. Denn die Inflation hat mittlerweile auch die Baubranche erreicht, die bisher immer als Stütze der Konjunktur galt. Die Energiekosten stiegen und wegen der Lieferengpässe seien viele Bauzeitpläne nicht mehr einhaltbar. Obwohl die Auftragsbücher vielerorts noch voll seien, so rechne trotzdem eine wachsende Zahl von Betrieben mit einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation.  

Vor allem in den Gewerken mit hohen Energiekosten werden nach Ansicht Winklers wohl einige Betriebe in Schieflage geraten oder sogar aufgeben müssen. Vor allem Bäckereibetriebe, Friseure oder Metzgereien seien davon betroffen. „Hier ist es an der Politik, den kleinen mittelständigen Unternehmen schnelle und unbürokratische Hilfe zukommen zu lassen“, forderte Winkler. Es müssten vor allem Härtefallregeln erlassen werden, damit die Vielfalt des Handwerks erhalten bliebe. Schließlich seien es gerade die vielen kleinen Betriebe, die die Wirtschaft am Laufen hielten, die individuelle Lösungen für ihre Kunden bereit hielten und die vor allem für die vielfältige Ausbildung des Handwerkernachwuchses sorgten. Deshalb sei es so wichtig, dass nicht nur große Konzerne Hilfe vom Staat erhalten würden, sondern diese auch kleineren Unternehmen angeboten würden. 

Ferner ging Winkler auf den Bereich Ausbildung ein: „Der Trend zum angeblich unverzichtbaren Studium muss endlich ausgebremst werden.“ Seiner Ansicht nach stelle dies inzwischen ein gesamtgesellschaftliches Problem dar, weil bei den jungen Menschen das Handwerk nur noch als wenig attraktiv erscheine. 

Winkler schilderte ein Erlebnis auf einem Berufs-Info-Tag an einer Gesamtschule. Er habe die Jugendlichen als vollkommen unmotiviert, uninteressiert und vor allem ohne Antrieb und Biss für ihre Lebensplanung erlebt. „Solche Azubis können wir nicht gebrauchen, Hier muss ein Umdenken stattfinden“, forderte Winkler. Weil die Kinder keinen Bezug mehr zu den handwerklichen Berufen hätten, sollte beispielsweise der „Werkunterricht“ wieder eingeführt werden, in dem gehämmert, gesägt und getöpfert wurde. „Stattdessen wurde das Unterrichtsfach ‚Glück’ eingeführt, das keinen wirklich weiterbringt. Wir ziehen momentan eine ganze Generation Theoretiker heran. Und dabei fehlen schon heute rund 250 000 Fachkräfte im Handwerk.“ Heruntergebrochen auf Hessen sind dies gut 15 000 Fachkräfte. 

Auch eingestaubte Rollenbilder gehörten mittlerweile über Bord geworfen. So können Mädchen genauso Fliesenleger wie Jungen Friseur werden. Dafür müssten nur die Rahmenbedingungen wieder stimmen, denn es ist nicht nur das Geld, das zählt. „Beruf kommt von Berufung“, so Winkler. Wenn das Handwerk wieder wertgeschätzt würde, dann würden sich auch wieder Jugendliche finden, die Berufe in diesem Bereich ergreifen.    

BAD NAUHEIM. Mehr Wertschätzung für das Handwerk forderte der neue Kreishandwerksmeister Holger Winkler auf dem Neujahrsempfang der Kreishandwerkerschaft. Text + Fotos: jwn

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