„Sie haben Schlimmes durchgemacht, wir möchten Ankommen erleichtern“

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„Sie haben Schlimmes durchgemacht, wir möchten Ankommen erleichtern“

BUTZBACH. Das Foto zeigt am achten Geburtstag von Setayesh (2.v.l.) Vater Amanuallah Rahimi mit Erafan und Eran und seiner Frau Razia Noori. Text + Foto: thg

In Griedel große ehrenamtliche Hilfsbereitschaft für Flüchtlinge / Wohnungsfindung bleibt schwierig

BUTZBACH (thg). In Griedel betreibt der Wetteraukreis in der Wetterstraße seit März eine Unterkunft für Flüchtlinge. Für einige Einwohner war es sogleich klar: Praktische Hilfe und Integration müssen Ehrenamtliche übernehmen.
„Buchstäblich mit nichts als dem, was sie am Leib trugen“, kamen die Menschen in Griedel an, berichtet Anne Müller, eine der Aktiven. Rund 25 Flüchtlinge in fünf Familien leben in der ehemals landwirtschaftlich genutzten Liegenschaft, drei davon aus Afghanistan, je eine aus Syrien und der Ukraine. Um die Öffentlichkeit für das Thema zu sensibilisieren, wurde der Ortsbeirat einbezogen.
Müller berichtet von einer guten Vernetzung der Ehrenamtlichen im Butzbacher Stadtteil und somit auch vielen Hilfsmöglichkeiten. Zunächst sei es darum gegangen, dass die Menschen ankommen konnten und dass sie für sich und ihre Wohnräume eine Ausstattung erhalten. Razia Noori kam mit ihrem Mann Amanuallah Rahimi und der Tochter Setayesh und Sohn Erafan im März schwanger nach Griedel. Die notwendige Hilfe zu organisieren, sei zeitweise schwierig gewesen. Die Hilfe der Ehrenamtlichen ging so weit, dass Müller bei der Geburt von Sohn Eran mit dabei war. Weitere praktische Hilfe wie die Suche nach einem Kinderbett schloss sich an.
Die Familie lebt in einer der kleinen Wohnungen und wünscht sich mehr Platz. Wenn der Vater beispielsweise für Deutsch lernen möchte, sind auch die Kinder dabei. Tochter Setayesh, die am Samstag vor einer Woche acht Jahre alt wurde, besucht die zweite Klasse der Degerfeldschule und fungiert teils auch dank ihrer guten Deutschkenntnisse als Übersetzerin für Alltagsgespräche.
So kommt beim Besuch von Rainer Hachenburger, Dedo Fräbel und Dieter Söhngen auch gleich eine Frage zu einem Schreiben des Jobcenters auf. „Aktivierung der beruflichen Eingliederung“ und andere Begriffe im Behördendeutsch sind Themen, in die sich auch die Helfer in den vergangenen Wochen erst einfinden mussten. Müller berichtet aber, dass hinsichtlich der Formalitäten auch die Sozialarbeit der Stadt ansprechbar ist. „Das hat sich gut eingespielt.“ Wenig Unterstützung komme hingegen vom Kreis als Betreiber der Unterkunft. Söhngen hat als Stadtrat den kurzen Draht in den Magistrat und auch der Ortsvorsteher Aydin Yilmaz ist Ansprechpartner.

In den Anfangstagen der Unterkunft in Griedel kamen auch die Fragen rund um den Kita- und Schulbesuch auf. Unter anderem ging es darum, die Einschulungsuntersuchung in Friedberg zu bewältigen. Zunächst hätten die Ehrenamtlichen viel Zeit aufgewendet, unter anderem auch um weitere Möbel oder technische Anschlüsse oder auch Fernseher zu organisieren und zu transportieren. Viele Kleiderspenden mussten sortiert und verteilt werden. Fahrräder zu besorgen, war ein weiterer wichtiger Punkt oder auch die Anmeldung bei der Butzbacher Tafel.
Auch finanzielle Mittel werden benötigt. Von den 550 Euro, die die zweite Herren-Mannschaft des TSV Griedel nach der Feier ihrer Handball-Meisterschaft sammelten, wurden etwa die Anmeldegebühr für das Baby oder auch ein Geburtstagsgeschenk oder Gardinenstangen bezahlt. Zum Helfer-Kern gehören auch Lara Bauer-Kress, Bianca Joeren, Wibke Hackmeier und Jonas Hafer. Für Absprachen und unter anderem um Fahrdienste zu organisieren, traf sich die Gruppe im Dorftreff. Ferner waren Termine für verschiedene Arztbesuche zu organisieren, darunter beim Gynäkologen oder auch Zahnarzt. Bei der medizinischen Versorgung kritisierte Müller, dass sie Unterschiede in der Handhabung in Praxen festgestellt habe zwischen „Weltflüchtlingen“ und Ukraine-Flüchtlingen. „Ich habe dann nur noch von Flüchtling gesprochen, wenn ich Termine vereinbart habe.“
Manches fällt auch erst im Alltag auf. So stellte sich die Frage nach Mülltonnen und hinzu kam die Aufklärung darüber, dass der Abfall getrennt werden muss. Bei solchen, aber auch den meisten anderen Gesprächen ist der Whatsapp-Übersetzer ein wichtiges Hilfsmittel.
Inzwischen sind die Unterkunftsbewohner selbständiger geworden. Es besteht auch Kontakt zu Flüchtlingen, die im Degerfeld wohnen. Mit Fahrrad und Bus sind die Menschen in der Stadt unterwegs. Ein großer Wunsch der Familie Rahimi ist eine größere Wohnung. Doch das ist ein Problem – und nicht erst jetzt. Schon seit Jahren leben manche Flüchtlinge in Unterkünften und können trotz Anerkennung nicht ausziehen, weil es keinen bezahlbaren Wohnraum für sie gibt. „Wir suchen Wohnungen, aber es ist sehr schwierig, welche zu finden“, bestätigt Müller. Einstweilen wünscht sich die Familie noch einen Schrank, weil der aktuelle zu klein ist. Und die Eltern betonten beim Besuch: „Vielen Dank für die Hilfe.“
Nun widmen sich die Ehrenamtlichen vermehrt dem Thema Integration, unter anderem mit Turnen und Handball im TSV Griedel, aber auch zum Singen im Kinderchor möchte Müller die Kleinen mehr animieren.
Wajiha Ahmad stammt aus Pakistan. Sie lebt seit 14 Jahren in Deutschland, seit einiger Zeit mit ihrem Mann und drei Kindern in Griedel. Auch sie ist Ansprechpartnerin für die Flüchtlinge. Sie engagiert sich unter anderem in der Frauenorganisation der muslimischen Ahmadiyya-Gemeinde. Mit 35 Frauen aus Butzbach und Umgebung hat sie ein Frauenfrühstück organisiert. Dafür und für weitere Treffen wie zum Weltfrauentag am 8. März hat der Magistrat kostenlos das Bürgerhaus zur Verfügung gestellt.
Sie nimmt Berührungsängste wahr, auf der einen Seite die geflüchteten Frauen, auf der anderen die einheimischen. Für die Zugezogenen verweist sie auf die Angst vor dem Sprechen der deutschen Sprache. Außerdem hätten die Mütter viel mit ihren Kindern durchzustehen bei Problemen in der Schule. So fehle ihnen die Stärke, für sich selbst einzutreten. Dabei will Ahmad ihnen helfen. In ihrer Heimat war sie Master of Business Administration. In Deutschland kann sie in dem Bereich nicht arbeiten. So wie ihr gehe es vielen Frauen. Das betreffe auch die Männer, die andere Arbeit machen müssten als die gelernte oder sogar von Sozialhilfe leben müssten.
Ihre Motivation zur ehrenamtlichen Flüchtlingshilfe zieht Müller daraus, dass sie versucht, sich in die Menschen hineinzuversetzen. „Wie würde es uns gehen, wenn wir in eine anderes Land kommen?“ Sie und andere Unterstützerinnen seien auch Mütter und kennen die Lebenswelt. „Man flieht nicht freiwillig mit kleinen Kindern“, stellt sie heraus. „Die Menschen haben Schlimmes durchgemacht, wir möchten ihnen das Ankommen erleichtern.“

 

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