Street-Art-Performance mit „Statue der Freiheit“ auf dem Marktplatz

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Street-Art-Performance mit „Statue der Freiheit“ auf dem Marktplatz

BUTZBACH. Trotz des kalten – aber zum Glück für die Veranstalter – trockenen Wetters waren zahlreiche Zuschauer auf dem Marktplatz anwesend, die sich interessiert und begeistert von der Street-Art-Performance zeigten. Text + Foto: amh

Veranstaltung des Reallabor Demokratikum in Kooperation mit der Büchner-Bühne

BUTZBACH (amh). Am Samstag wurde der Butzbacher Marktplatz zur Bühne: Schon um 10.30 Uhr wurde ein „temporäres Denkmal“ auf dem Marktplatz, vor dem historischem Rathaus, aufgestellt. Ein Denkmal, das manchen Passanten zum Stehenbleiben animierte: Da saß eine „Bronzesatue“ mit einem Dokument mit der Aufschrift „Verfassung“ in der einen Hand und eine Peitsche in der anderen Hand. Das Denkmal saß aber nicht auf einem Thron, sondern auf einem „Bürger“, der kniend und auf die Hände gestützt, mit zerrissenen Kleidern und zugeklebtem Mund, als Sitzgelegenheit zu dienen hatte.

Auf dem oberen „Denkmalsockel“ war zu lesen „Großherzog Ludwig I von Hessen“, auf dem unteren „1820 erste hessische Verfassung“ und darunter „Friede den Palästen“.

Mitwirkende des Demokratikums verteilten Flyer an die Menschen, die auf dem Marktplatz verweilten und daraus ging dann hervor, dass es sich um die„Statue der Freiheit“ handelte und die Büchner-Bühne in einer Street-Art-Performance die Innenstadt zum Ort der Demokratie verwandeln wird, unvorhergesehen, vielfältig, kreativ. Und  tatsächlich: Einige der „Passanten“ auf dem Marktplatz trugen offensichtlich teilweise „historisch angehauchte Kleidung“. Es waren Darsteller der Büchner-Bühne aus Riedstadt. 

Und pünktlich, als die Rathausuhr 11.30 Uhr schlug, der Marktplatz war schon gut bevölkert, erklang plötzlich das Lied „Die Gedanken sind frei“ und die fünf Darsteller, Tanja Marcotte, Ursula Stampfli, Mélanie Linzer, Bastian Hahn und Oliver Kai Müller schlenderten sternförmig, das um 1800 entstandene Volkslied, das heute in der Version von Hoffmann von Fallersleben aus dem Jahr 1842 bekannt ist, singend auf das „Denkmal“ zu. Und viele der anwesenden Zuschauer sangen spontan mit. 

Es folgte eine Aufführung zur Entstehung der ersten Demokratie in Hessen. Zu Beginn wurde im Wechselgespräch erzählt, dass, mit dem Ende des römischen Reichs im Jahr 1806, die Landgrafschaft Hessen Darmstadt zum Großherzogtum wurde, der regierende Fürst Ludwig I zur „königlichen Hoheit Großherzog Ludewig I“.

Nach dem Sturz Napoleons schlossen sich dann die europäischen Fürsten zusammen, um ihre Macht zu sichern. Sie gründeten den Deutschen Bund. Die europäischen Völker aber hatten die Ideale der Französischen Revolution von 1789 nicht vergessen. Sie wollten die Leibeigenschaft abschaffen und die absolute Macht der Fürsten brechen. Unter dem öffentlichen Druck stimmten die, beim Wiener Kongress versammelten Fürsten einer Liberalisierung zu. Neben der Abschaffung der Leibeigenschaft sollte es in allen Unterzeichner-Ländern eine Verfassung, mit Beschränkungen der fürstlichen Macht, geben und es sollte zur Einsetzung von Volksvertretungen kommen. Der Darmstädter Großherzog hätte lange gezögert, ehe er sich herabließ, seine Zusage einzuhalten. Am 18. März 1820 ließ er dann eine Verfassung verkündigen, auf deren Grundlage er zur ersten Wahl in Hessen kam, bei der allerdings Adlige und Wohlhabende wesentlich höheres Stimmgewicht als das einfache Volk hatten.

Es habe aber auch zahlreiche Abgeordnete gegeben, die mit Ludwigs absolute Herrschaft nicht einverstanden waren. Sie erzwangen eine Neufassung mit umfangreichen Veränderungen. Schließlich wurde die neue Verfassung am 17.Dezember 1820 unterschrieben. Seither war in Hessen-Darmstadt Gesetz: Alle Hessen sind vor dem Gesetz gleich und die Presse und der Buchhandel sind in Großherzogtum frei. Trotz vieler Schwächen blieb dieser Text in Hessen-Darmstadt für fast 100 Jahre bis zum November 1918 verbindliches Recht, mit Ausnahmebestimmungen, Sonderverfügungen oder einfach durch frechen Bruch hatte der Staat aber häufig und ungestraft dagegen verstoßen. 

1837 riefen Darmstädter Bürger dann dazu auf, den Großherzog als Stifter der Verfassung ein Denkmal zu stiften. Statt des ursprünglichen Plans, den der bedeutende Bildhauer Johann Baptist Scholl vorgelegt hatte, entstand schließlich der „Lange Lui“, das Ludwigs-Monument.

Anschließend wurde über den Hessischen Landboten berichtet, der im Juli 1834 erschien. Es sei die erste Publikation gewesen, an der Büchner noch ungenannt als Autor beteiligt war. Es handelte sich um eine illegale Flugschrift und habe die propagandistische Beeinflussung und Agitation der Bauern und kleinen Handwerker im Großherzogtum Hessen zum Ziel gehabt, um so eine Massenbasis für einen revolutionären Umsturz zu gewinnen. Entsprechend scharf sei dieser Versuch von den Behörden verfolgt worden, was man auch an den Zitaten aus dem Hessischen Landboten, der von den  Schauspielern zitiert wurde, erkennen konnte: 

„Dieses Blatt soll dem hessischen Lande die Wahrheit melden, aber wer die Wahrheit sagt, wird gehenkt, ja sogar der, welcher die Wahrheit liest, wird durch meineidige Richter vielleicht gestraft. Darum haben die, welchen dies Blatt zukommt, Folgendes zu beobachten: Sie müssen das Blatt sorgfältig außerhalb ihres Hauses vor der Polizei verwahren; Sie dürfen es nur an treue Freunde mitteilen; Denen, welchen sie nicht trauen, wie sich selbst, dürfen sie es nur heimlich hinlegen; Würde das Blatt dennoch bei Einem gefunden, der es gelesen hat, so muß er gestehen, daß er es eben dem Kreisrat habe bringen wollen; Wer das Blatt nicht gelesen hat, wenn man es bei ihm findet, der ist natürlich ohne Schuld. – Friede den Hütten! Krieg den Palästen!“

Es wurden weitere Passagen aus dem „Landboten“ zitiert, um so die Lebensumstände darzustellen.

Bei der Verlesung der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte in der französischen Nationalversammlung vom 26.August 1789 wurde ersichtlich und eindrucksvoll dargestellt, wie sehr sich die Lebensumstände in Deutschland, bzw. Hessen-Darmstadt und Frankreich noch unterschieden.

Es folgten dramatische Szenen aus Büchners Werk „Dantons Tod“ von 1835. Zum Ende der Vorstellung wurde wieder „Die Gedanken sind frei“ angestimmt und auch dieses mal stimmten die Zuschauer auf dem Marktplatz wieder mit ein und sangen alle 4 Strophen mit. Nach der Aufführung wurden die Schauspieler mit lang anhaltendem App-laus belohnt. 

Bürgermeister Michael Merle dankte anschließend den Akteuren des Reallabor Demokratikum und den Schauspielern der  Büchner-Bühne für diese gelungene Veranstaltung und kündigte an, dass das Demokratikum in diesem Jahr noch viele weitere Veranstaltungen anbieten werde. 

Das Land Hessen fördert im Jubiläumsjahr Butzbachs, 2023, das Demokratikum über das Förderprogramm „Zukunft Innenstadt“. Mit dem „Reallabor Demokratikum“ soll das Thema Demokratie in der Innenstadt für alle erlebbar gemacht werden. Als Weidig-Stadt kommt in Butzbach der Demokratiegeschichte rund um Friedrich Ludwig Weidig eine besondere Bedeutung zu. Aber auch die Auseinandersetzung mit aktuellen Fragen zur Demokratie finden im Reallabor Demokratikum in unterschiedlichsten Formaten statt. Workshops für Kinder und Jugendliche, zu Vorbildern der Demokratiegeschichte und demokratischen Werten, Schreibwerkstätten zum Hessischen Landboten, aber auch Veranstaltungen wie zum Beispiel Lesungen und eben wie am Samstag Street-Art-Performance, werden ausgerichtet. Alle Angebote des Reallabors Demokratikum finden in der Butzbacher Innenstadt statt. Das Reallabor ist ein erster Schritt auf dem Weg ein dauerhaftes, festes Demokratikum in Butzbach zu entwickeln. 

BUTZBACH. Die „Bronzestatue“ mit der Verfassung in der einen und einer Peitsche in der anderen Hand, sitzend  auf einem „Bürger“, der kniend und auf die Hände gestützt, mit zerrissenen Kleidern und zugeklebtem Mund, als Sitzgelegenheit dient, stellt eine gelungene Karikatur dar, die zeigt, wie groß die Differenz zwischen der Verfassung und der tatsächlichen Ausführung derselben zu Büchners Zeit war.

BUTZBACH. Bei der Veranstaltung waren, neben (v.l) Dr. Andrea Soboth vom Innenstadtmanagement der Stadt Butzbach, auch der Vorstandssprecher der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit und ehemaliger hessische SPD Vorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel, hier mit Bürgermeister Michael Merle, der Ortsvorsteherin Anne Thomas und dem Ersten Stadtrat Markus Ruppel zugegen. Text + Fotos: amh

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