„Täter ist zielgerichtet vorgegangen“

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„Täter ist zielgerichtet vorgegangen“

GERICHT – Psychiater: Wegen versuchten Mordes in Asylunterkunft Angeklagter voll schuldfähig

LANGGÖNS (ga). Wollte ein 28-jähriger Afghane in einer Langgönser Asylunterkunft seinen Landsmann heimtückisch töten? Der Angeklagte, der sich wegen versuchten Mordes vor der Schwurgerichtskammer des Gießener Landgerichts verantworten muss, bestreitet den Messerangriff nicht. Allerdings habe er sein Gegenüber „nur“ an der Hand verletzten wollen. Die zehn Zentimeter lange Klinge eines Küchenmessers durchbohrte dann aber den Brustkorb des 21-Jährigen. Der psychiatrische Gutachter hält den Angeklagten für voll schuldfähig und schließt eine Tat im Affekt aus.

Als die Polizei am 5. April gegen 22 Uhr an dem Asylbewerberheim eintraf, wartete der mutmaßliche Täter mit blutigen Händen bereits vor dem Gebäude. Die Tatwaffe wurde später in einem nahen Bachlauf gefunden. Das Opfer des Angriffs hatte in seiner Vernehmung angegeben, von dem Angeklagten auf dem Sofa liegend überrascht worden zu sein. Dann habe der Mann mehrfach auf die Herzgegend gezielt, aber wegen heftiger Gegenwehr den Brustkorb nur einmal getroffen. 

Der Angeklagte berichtete hingegen, dass dem Angriff kurz zuvor eine verbale Auseinandersetzung vorausgegangen sei. So habe er sich gestört gefühlt, da sein 21-jähriger Landsmann sehr laut ferngesehen habe. „Das ist ein unanständiger Mensch, der Probleme macht“, ließ er übersetzen. Nach gegenseitigen Beleidigungen streckte offenbar der jüngere Afghane den vom Geräuschpegel Genervten mit einem Faustschlag nieder. Die Streithähne sollen von weiteren Bewohnern getrennt worden sein, die den Angeklagten in sein Zimmer sperrten. 

Dieser, und so räumte er es auch bereits vor Gericht ein, kletterte allerdings aus dem Fenster, holte ein Küchenmesser und suchte den anderen erneut auf. Da er durch den Faustschlag an der Lippe blutete, habe er seinen Gegner „auch bluten sehen wollen“. Der Angeklagte will seinen Kontrahenten sogar noch gefragt haben, mit welcher Hand er zugeschlagen habe, um diese als eine Art Ausgleich ebenfalls zu verletzen. Da das Opfer allerdings seine Hand ruckartig weggezogen habe, sei dann der Brustkorb getroffen worden. Als der Angeklagte merkte, dass der 21-Jährige stark blutete, habe er den Notarzt rufen wollen. Doch das hatten bereits die Mitbewohner übernommen. 

Der Arzt, der den Verletzten im Schockraum der Uniklinik behandelte, beschrieb drei Stichwunden – zwei im Brust- und eine im Halsbereich – wovon die größte nach Meinung des Mediziners „ohne Behandlung zum Tod geführt hätte“. So sei der Brustkorb auf der linken Seite „komplett durchspießt“ worden, sodass bereits Luft aus der Brusthöhle austrat. 

Der psychiatrische Sachverständige Dr. Jens Ulferts konnte bei dem Angeklagten, der seit Herbst 2015 in Deutschland lebt, keine Anhaltspunkte für psychiatrische Vorerkrankungen feststellen. Auch gebe es keine Hinweise auf ein psychotisches Erleben oder Folgen einer posttraumatischen Belastungsstörung. Eine Affekttat schloss der Psychiater ebenfalls aus. Vielmehr handle es sich um „ein zielgerichtetes Vorgehen“. Ausschlaggebend sei dabei unter anderem, dass sich der Angeklagte gut an die Abläufe erinnern und diese schildern könne. Der Umweg in die Küche, um dort ein Messer zu greifen, spreche ebenso nicht für eine Affekthandlung. So sei bei einem eingeschränkten Wahrnehmungsumfeld auch nicht zu erwarten, dass der spätere Täter zunächst noch frage, mit welcher Hand er verletzt worden sei. „Die Tatsituation wurde von dem Täter selbst herbeigeführt“, folgerte Ulferts, der dem Angeklagten die volle Schuldfähigkeit bescheinigte. 

Die Verhandlung wird am 3. Dezember fortgesetzt. Dann soll auch das Urteil fallen.

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