Über Jahrzehnte hinweg traumatisiert

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Über Jahrzehnte hinweg traumatisiert

BUTZBACH. Das Foto zeigt Adolph Baer und seine Frau Hannah, die ab dem Ende der 70er Jahre Kontakt zur Griedeler Familie Wetz hielten.

Verstorbener Griedeler jüdischen Glaubens stiftet 500 Dollar an Butzbacher Museum für weitere Forschung

BUTZBACH (thg). Eine Spende von 500 Dollar überreichte Klaus-Jürgen Wetz an der Gedenktafel für die frühere Griedeler Synagoge an Bürgermeister Michael Merle. Das Geld stammt von Adolph Baer, einem gebürtigen Griedeler jüdischen Glaubens, der 1938 als Schüler mit seiner Familie vor den Nazis floh. Nur kurz vor seinem Tod am 6. September 2020 im Alter von 90 Jahren hatte Baer noch den Scheck nach Deutschland geschickt. Anlass war die für August geplante Erinnerungsveranstaltung „Jüdisches Leben in Griedel“, die wegen Corona allerdings abgesagt wurde. Sie soll möglichst im kommenden Jahr nachgeholt werden, so Wetz. Das Geld soll für das Museum für die weitere Erforschung der jüdischen Geschichte in Butzbach verwendet werden. 

In Griedel gab es eine beachtlich große jüdische Gemeinde. Um die Wende zum 20. Jahrhundert hatte sie mehr als 100 Mitglieder. Am Angerberg wurde 1862 eine Synagoge errichtet. Zuvor hatte es bereits einen Betsaal gegeben. 

Erich Wetz, der Vater von Klaus-Jürgen Wetz, ging mit Baer in Griedel zur Schule. Die Jungen waren Nachbarn. Erich Wetz lotste seinen Klassenkameraden durch den Garten seines Elternhauses, um ihn vor den Prügelattacken anderer – von Nazi-Lehrern angestachelten – Schüler zu schützen. „Das hat er ihm nie vergessen“, berichtet Klaus-Jürgen Wetz. Etwa im Abstand von zwei oder drei Jahren gab es nach 1977 Treffen. Denn bis dahin wollte Baer, der in Hagerstown/Maryland in den USA lebte, nie wieder einen Fuß in das Land seiner Verfolger setzen. 

Baer wurde am 7. Januar 1930 als Sohn von Eugen und Hedwig Baer geboren. Die Familie lebte in Griedel im Haus Ecke Brudergasse/Kleinbachstraße, der Vater betrieb im eigenen Anwesen eine Metzgerei. Er hatte keine Geschwister. Seine Großeltern väterlicherseits, Adolf und Therese Baer, sind auf dem jüdischen Friedhof in Griedel begraben. 

Baers Großvater mütterlicherseits starb im Februar 1943 im Konzentrationslager Theresienstadt an Typhus. Seine Großmutter mütterlicherseits wurde 1944 von Theresienstadt nach Auschwitz deportiert und dort unmittelbar nach der Ankunft im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau vergast, wie Adolph Baer 1993 in Theresienstadt erfuhr.

An Ostern 1936 wurde Adolph Baer in der Volksschule Griedel eingeschult. Seine Erinnerungen rund um die Reichspogromnacht und die anschließende Emigration schilderte Baer laut Wetz 1999 in den USA einer Zeitung. Sein Vater und er seien nachmittags auf den Straßen in Griedel unterwegs gewesen, als Hitler-Jugend-Mitglieder begonnen hätten, ihnen „dreckige Juden“ entgegenzuschreien. Abends seien SA-Leute in ihren Hof gestürmt. Einer von ihnen, der bis dato als vermeintlicher Freund der Familie betrachtet worden war, habe seinen Vater geschlagen. Anschließend sei er abgeführt worden. Seine Mutter, die seinerzeit an Grippe erkrankt gewesen sei, habe alles von einem Fenster im Obergeschoss des Wohnhauses angstvoll beobachtet. Als man sie dort entdeckte, habe jemand einen Stein durch die Glasscheibe geworfen, der ihr schwere Verletzungen im Gesicht zufügte. Kurze Zeit später sei die nur wenige Meter entfernte Synagoge am Angerberg in Flammen aufgegangen. In die Flammen hätten SA-Leute die Thora-Rollen geworfen, die sein Vater kurz vorher noch aus der Synagoge geholt hatte, um sie zu retten. 

All das musste der zu jener Zeit achtjährige Junge Adolph mitansehen. Es habe ihn über Jahrzehnte hinweg traumatisiert, wie er Wetz mehr als einmal erzählte.

Bereits am nächsten Tag entschlossen sich Adolphs Eltern zur Emigration, und Ende November 1938 verließ die Familie Baer Griedel und Deutschland. Erstes Ziel war Frankreich, nach einigen Schwierigkeiten mussten Adolph und seine Mutter die Reise nach New York zunächst allein antreten. Vater Eugen kam aber nach.

Baer studierte in Baltimore Pharmazie und promovierte. Dort lernte er auch seine Frau Hannah kennen, ebenfalls eine geborene Baer, die im Juni 1938 im Alter von acht Monaten mit ihrer Familie aus Nümbrecht in die USA emigriert war. Er betrieb drei Apotheken in Hagerstown. Das Paar hat zwei Töchter und einen Sohn sowie sechs Enkelkinder, die alle bereits in Griedel zu Besuch waren.

Unvergessen bleibt Wetz der Festakt im Oktober 1992, als Adolph Baer eine Erinnerungstafel für das Feuerwehrgerätehaus (am ehemaligen Standort der Synagoge) gestiftet hatte, dessen grafischen Entwurf Dr. Dieter Wolf beisteuerte. Eine enge Beziehung unterhielt Baer auch zu dem ehemaligen Weidigschullehrer und Griedeler Lokalhistoriker Werner Wagner, so der Geschichtslehrer Wetz.

BUTZBACH. Klaus-Jürgen Wetz (r.) reichte die 500-Dollar-Spende von Adolph Bär weiter an Bürgermeister Michael Merle. Text + Foto: thg

Der Beitrag verfällt zur festgelegten VERFALLSZEIT am VERFALLSDATUM.

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