Wärmegewinnung aus Abwasser: Gießen ist schneller als Berlin

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Wärmegewinnung aus Abwasser: Gießen ist schneller als Berlin

GIESSEN. Erik Greß aus dem Facility Management (r.) erläutert (v.l.) THM-Präsident Professor Dr. Matthias Willems, Staatssekretärin Ayse Asar und Gießens Oberbürgermeister Frank-Tilo Becher, wie das Abwasser aus dem Kanal in die Anlage gefördert wird. Foto: glotz

Projekt an Technischer Hochschule Mittelhessen eingeweiht / Eine Million Euro Förderung aus Wiesbaden

GIESSEN (pd). Ein Handlungsfeld der Energiewende wird sein, Potenziale bereits vorhandener Anlagen intensiver zu nutzen, vor allem Abwärme. Energieversorger arbeiten daran, Wärmeproduzenten wie Bäckereien oder Wäschereien mit gewerblichen und privaten Abnehmern zusammenzubringen. Die Technische Hochschule Mittelhessen (THM) will mit einer neuen Anlage ein bislang wenig beachtetes Potenzial nutzen: Wärme und Kälte aus Abwasser. Das THM-Präsidium, Gießens Oberbürgermeister Frank Tilo Becher und Ayse Asar, Staatssekretärin im Wissenschaftsministerium, nahmen sie in Betrieb.

Die Anlage befindet sich auf dem Campus Wiesenstraße der THM. Mit Mensa, zahlreichen Hörsälen, zen-tralen Verwaltungseinrichtungen sowie Labors und Werkstätten mehrerer Fachbereiche ist der Campus dauerhaft stark frequentiert. Entsprechend viel Abwasser fällt an. Darauf verlässt sich die Hochschule aber nicht allein, sondern nutzt insbesondere das Abwasser aus dem öffentlichen Kanal. 

THM-Präsident Professor Dr. Matthias Willems erläuterte, Abwasser habe im Winter Durchschnittstemperaturen von zehn bis zwölf Grad Celsius, im Sommer knapp unter 20 Grad. Mithilfe von Wärmetauschern und Wärmepumpen lässt sich dieser „Schatz“ zum Kühlen wie Heizen nutzen. Willems verwies auf aktuelle Pläne der Berliner Stadtverwaltung, ab dem Frühjahr 2024 Wärme aus Abwasser zu gewinnen. „In Gießen geschieht das ab heute“, lobte er die Innovationsfreude seiner Hochschule.

 

GIESSEN. Techniker manövrieren die sperrigen Teile der Anlage im Dezember 2022 durch den Keller des THM-Turms C10. Foto: glotz

„Hessen soll bis zum Jahr 2045 klimaneutral sein, die Landesregierung will mit gutem Beispiel vorangehen und 2030 CO2-neutral arbeiten – dazu werden die Hochschulen schon wegen ihres Anteils am Energieverbrauch der Landesliegenschaften einen wichtigen Beitrag leisten“, sagte Asar. „Die Abwasserwärmenutzungsanlage hier spart also nicht nur CO2, sie bringt auch Forschung im Bereich der Nachhaltigkeit einen großen Schritt voran.“

Das Ministerium fördert Bau und Betrieb der Anlage mit rund einer Million Euro aus dem Fonds „React-EU“, der als Reaktion auf die Covid-Pandemie aufgesetzt wurde, um Projekte im Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) zu fördern. 

Die Idee zur Abwasserwärmenutzung gab es an der THM schon vor der Pandemie, wie Professor Dirk Metzger, Vizepräsident für strategische Bauplanung und Nachhaltigkeit, erklärte. Er skizzierte die weiteren Vorhaben zur technischen und energetischen Sanierung der „THM-Türme“ A10 und C10 auf dem Campus Wiesenstraße ab 2024. „Diese Anlage bildet den ersten Schritt hin zu einer für Nachhaltigkeit und Haushalt sinnvollen Weiternutzung von Gebäuden, die ihre geplante Lebensspanne eigentlich erreicht haben“, sagte er. An die Umsetzung dieses ersten Schritts ging es im Jahr 2022, als das Facility Management der THM ein Energiekonzept entwickelte und nach Besichtigung einer Pilotanlage in Regensburg in die konkrete Planung einstieg. 

Technisch wird das Abwasser künftig durch eine Schachtsiebanlage aus dem Kanal der Mittelhessischen Wasserbetriebe geholt. Von dort wird das flüssige Medium in einen Wärmetauscher im Gebäude gepumpt, während die Feststoffe direkt wieder in den Kanal zurück gefördert werden. 

Über den Wärmetauscher wird im Winter eine Wärmepumpe und im Sommer eine Kältemaschine betrieben. Die Wärmepumpe kann rund 850 Kilowatt Wärmeleistung bereitstellen – am Standort Friedberg würde das den gesamten Wärmebedarf decken. Die Kältemaschine erzeugt rund 600 Kilowatt Kälte. Eingespart werden sollen so etwa 300 Tonnen CO2 pro Jahr.

Aufgrund der Energiepreissteigerung wird mit einer Amortisation des Projektes innerhalb weniger Jahre gerechnet. Stärker ins Gewicht fallen dürfte aber, dass die Anlage auch als Real-Labor für Lehre und Forschung genutzt werden soll.

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