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„Wir haben die Bomben gespürt“

BUTZBACH/GRÜNBERG. Studiendirektor Matthias Wolf im heimischen Wohnzimmer. Schon bald will er wieder zurück ins Westjordanland. Text + Foto: lr  

Matthias Wolf ist Lehrer an der Grenze zwischen Israel und Westjordanland und derzeit in Deutschland

BUTZBACH/GRÜNBERG (lr). Trotz des Krieges zwischen der Hamas im Gazastreifen und Israel wollte der Grünberger Matthias Wolf im Westjordanland bleiben. Nun ist er wieder zu Hause. 2018 hat der heute 60-Jährige seine Stelle als Fachbereichsleiter am Weidiggymnasium in Butzbach für eine Stelle im Westjordanland aufgegeben.

Zu der überraschenden Ausreise sagt Wolf: „Die Situation hatte sich deutlich verschärft. Raketenteile sind ganz in der Nähe herunter gekommen. Es waren Trümmer von Hamas-Geschossen, die die israelische Armee mit ihrem Abwehrsystem ,Iron Dome‘ abgefangen hat. Wir konnten nicht in Schutzräume ausweichen, weil es die auf dem Schulgelände nicht gibt“, berichtet der 60-jährige Studiendirektor von den Erlebnissen, die seit dem 7. Oktober den Nahen Osten nicht zur Ruhe kommen lassen.  

Seit fast sechs Jahren ist Wolf Direktor der Schule Talitha Kumi in Beit Jala 1000 Schüler, Studenten und Kita-Kinder besuchen das elf Hektar große Gelände an der Grenze zwischen Israel und dem Westjordanland. „Wir haben die Bomben gespürt“, erinnert sich Wolf, der mit dem Auswärtigen Amt, der Zentralstelle für das Auslandsschulwesen (ZfA) und dem Schulträger, dem Berliner Missionswerk, in ständigem Kontakt stand. Das Missionswerk hat die neuen Volontäre aus Deutschland aufgefordert, nach Hause zurückzukehren.  

„Wir haben insgesamt 490 Mal die Hotline der Lufthansa angerufen, um einen Flug zu buchen. Doch vergeblich“, schildert Wolf. Deshalb haben sie den Weg über Jordanien gewählt. Das Missionswerk hat die Flüge für die Volontäre geordert. Die Lehrer kümmerten sich selbst um die Flugtickets, was problemlos möglich war. Mit dem Bus ging es zunächst ins Jordantal, in einem jordanischen Ferienresort übernachtete die Gruppe. Wolf ist dann über Kairo nach Frankfurt gelangt. Der Schulleiter ist zwar in Grünberg angekommen, doch er hat keinen Urlaub. „Ich leite die Schule von zu Hause aus“, erläutert er. 

Von den palästinensischen Schülern nehmen 95 Prozent weiter am Unterricht teil. Es können nur die Kinder zum Präsenzunterricht kommen, die nicht von Straßensperrungen betroffen sind. Im deutschen Zweig sind es 75 bis 80 Prozent. Bislang habe der Unterricht fast immer aufrecht erhalten können. 

Für die Zeit nach dem Konflikt sieht Wolf große und mühevolle Arbeit auf die Schule zukommen. „Der Nahe Osten wird ein anderer sein, auch die Schule wird eine andere sein. Wir müssen einander begegnen, wo jeder erst einmal den anderen ausreden lässt. In der Kriegssituation ist der Dialog nicht möglich“. Derzeit gelte es auszuhalten und durchzustehen. Bei antiisraelischer Stimmung würde er als Direktor einschreiten.    

„Ich möchte, sobald es geht, nach Beit Jala bei Bethlehem, an meine Schule zurückkehren. Wir haben dort eine Aufgabe. Wir leisten Friedensarbeit durch Bildung und glauben weiterhin, dass das ein Weg zur Versöhnung sein kann“, begründet er seine Entscheidung zur baldigen Rückkehr. Wenn sich die Situation im Norden Israels nicht weiter zuspitzt und es in der Westbank, woher seine Schüler kommen, wird er bereits nächsten Montag wieder im Flieger nach Tel Aviv sitzen. Im Juni läuft sein Vertrag aus und er kehrt voraussichtlich zurück in den hessischen Schuldienst.

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