„Wir müssen zusammenleben und sind Vorbilder für unsere Kinder“

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„Wir müssen zusammenleben und sind Vorbilder für unsere Kinder“

BUTZBACH. Nuha Askar flüchtete aus humanitären Gründen aus Syrien und wirbt für ein Miteinander in Butzbach.

Nuha Askar flüchtete aus Syrien / Seit 2015 in Butzbach / Geschmückter Weihnachtsbaum ab 1. Dezember

BUTZBACH (thg). „Wir wollten unsere Kinder dort nicht aufwachsen lassen“, sagt Nuha Askar über ihr Heimatland Syrien. Sie und ihre christliche Familie haben ein Klima der Gewalt von Hass und Waffen erfahren. „Das ist die schlechteste Umgebung für Kinder“, sagt die 40-Jährige, die mit ihrem Mann, ihrer elf Jahre alten Tochter und ihrem 15-jährigen Sohn in Butzbach lebt. 

Im Juli 2015 kam sie mit den Kindern in die Wetterau. Wegen des Kriegs in Syrien war ihr Mann schon früher geflüchtet und kam nach Butzbach. Dank der Familienzusammenführung konnten die drei ihre Zwischenstation nach der Flucht aus der Heimat, den Libanon – ebenfalls ein von Hass geprägtes Land – verlassen. In Syrien wurde ihre Wohnung zerstört, mehrmals haben sie den Wohnort gewechselt und versucht, neu anzufangen, schildert die Butzbacherin, warum die Familie aus humanitären Gründen das Land verließ. 

Ihre Eltern ließ sie in Syrien zurück. Sie seien beide 70 und auch dort nicht sicher, seien „jede Minute in Gefahr“. Und auch die Corona-Pandemie habe die Lage verschlimmert. Sie hofft, dass ihre Eltern auch nachkommen können. Das ist es auch, was ihre Tochter regelmäßig auf ihren Wunschzettel an den Weihnachtsmann schreibt – abgesehen vom Spielzeug. Aber die Formalitäten seien schwierig. Auch für sie selbst sei noch nicht klar, ob sie eingebürgert wird, sagt Askar. 

Ihr Mann ist Grafikdesigner, arbeitet allerdings nach Jahren ohne feste Stelle und einem Jahr Praktikum nun auf zwei Jahre befristet in einem Betrieb in Ostheim. Nebenbei hilft er im Team der Butzbacher Tafel. Sie selbst hat 2003 ihr Diplom in Literaturwissenschaft gemacht, war zehn Jahre Lehrerin und hat auch im Libanon gearbeitet, als Englisch-Übersetzerin. 

In Deutschland besuchte sie einen Integrationskurs und erhielt ein Stipendium für einen Sprachkurs für hochqualifizierte Flüchtlinge an der Goethe-Uni. Dort sowie an der Uni Gießen oder auch im Frauenzentrum in Friedberg berichtete sie von ihren Erfahrungen. Ihr Hauptthema war ihre Identität „zwischen zwei Ländern“ –  Syrien und Deutschland. 

„Ich hatte den Traum, weiter zu lernen“, sagt Askar. Und so studierte sie in Frankfurtin dem Masterprogramm der Anglophone Literatures, Cultures and Media, erhielt ein Stipendium des Evangelischen Studienwerks und promoviert nun. Neben dem Stipendium arbeitete sie für drei Semester als studentische Hilfskraft im Fachbereich Neue Philologie. Ihren Internet-Blog www.nuhaaskar.com begann sie 2016, um Texte in Englisch und Deutsch zu veröffentlichen über sich, ihr Leben und ihre Aktivitäten zu sammeln und mitzuteilen. Ihre literarischen, kreativen Texte behandeln auch politische Themen. Denn sie ist ein politischer Mensch, nahm unter anderem an Demonstrationen gegen Rassismus der Antifa Friedberg oder des Butzbacher Bündnisses für Demokratie und Toleranz teil. 

Das Thema zwei Kulturen beschäftigt sie weiter. „Stereotype sind unfair“, sagt sie und meint damit Sätze wie: „Die Flüchtlinge sind so“ oder „Die Deutschen sind so.“ Sie habe in ihrer Zeit in Butzbach sehr viele nette Menschen kennengelernt, unter anderem Anette Krämer vom städtischen Sozialfachdienst. Und sie arbeitete auch als Dolmetscherin für Flüchtlinge im Auftrag der Stadt, etwa bei Arztbesuch oder Gesprächen über Kinder in der Schule. Auch die Kontakte im Quartierszentrum seien hilfreich gewesen. Auch ihr Mann habe Freunde unter Deutschen, durch sie habe er auch weitere kennengelernt. 

„Das Miteinander und das Verstehen sind wichtig“, betont Askar. Dazu gehöre auch, dass man zu dem anderen geht und nachfragt, statt zu urteilen. „Ich bin total gegen eine Parallelgesellschaft“, macht sie deutlich. „Wir müssen zusammenleben, wir sind auch Vorbilder für unsere Kinder, die kommende Generation, und wie sie aufwachsen.“ 

Askars Kinder wachsen auch mit der Weihnachts-Tradition auf. An Heiligabend kommt der Weihnachtsmann und bringt die Geschenke. Weihnachten ist auch ein bisschen eine Mischung mit „Thanksgiving“, so gibt es in der Familie Askar einen Truthahn. Verwandtenbesuche gehören – zumindest außerhalb der Pandemie – ebenfalls zum Fest. Die drei Geschwister Askars leben ebenfalls in Deutschland. Der Besuch des Gottesdienstes steht ebenfalls an den Feiertagen an. In Deutschland sei es toll, dass man Zeit für das Fest hat. In Syrien gebe es keine Ferien wie hierzulande, auch keine Weihnachtsmärkte, „die wir dieses Jahr vermissen“, speziell die festliche Atomosphäre auf dem Marktplatz. „Das Ritual der Adventskerzen finde ich besonders schön und neu.“ Neu sei für sie auch der Adventskalender gewesen. „Darauf freut sich meine Tochter jedes Jahr.“ 

Auch ein geschmückter Baum komplettiert den weihnachtlichen Schmuck. In  Syrien wird die künstliche Variante bevorzugt. Der Baum steht dort vom 1. Dezember bis zum 6. Januar. In christlichen Bereichen im Land ist auch die festliche Dekoration in den Straßen üblich. Seit zehn Jahren sei aber alles anders, bedauert die Butzbacherin. 

Regelmäßig besucht die Familie die Veranstaltungen der Stadtmission Butzbach. Die Kinder fahren auch mit ins Sommerlager. Die vier haben dort viele Freunde. „Die Gemeinde der Stadtmission ist für uns wie eine zweite Familie.“

Weiterer Bericht folgt.

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